Welche Rolle spielst du in deinem Leben?
Auch wenn wir keine Schaupieler*innen sind, so schlüpfen wir doch täglich in die unterschiedlichsten Rollen. Wir gehen dafür in der Regel nicht in die Maske wie professionelle Schauspieler*innen und Moderator*innen und lernen keinen Text auswendig – und doch passen wir unser Verhalten, unsere Haltung und häufig auch unsere Sprache unserer jeweiligen Rolle an.
Rollenwechsel sind uns mal mehr, mal weniger bewusst. Wenn Sie nach einem langen Arbeitstag nach Hause kommen und endlich in Ihren bequemen Hausanzug schlüpfen, dann realisieren Sie möglicherweise sehr deutlich, dass jetzt die Privatperson übernimmt und der Beruf Pause hat. Wenn Sie jedoch während der Arbeit z.B. eine Nachricht von Ihrer Mutter beantworten, einen Anruf Ihres Partners entgegennehmen und die Uhrzeit im Hinterkopf haben, wann Sie das Büro verlassen müssen, um Ihre Kinder pünktlich von der Schule abzuholen, dann sind Sie in einem wahren Rollen-Multitasking ohne sich dessen wahrscheinlich bewusst zu sein.
Da wir über unsere Mobiltelefone ständig erreichbar sind und in unseren unterschiedlichsten Rollen angefordert werden können, ist dieses gleichzeitige Bespielen unterschiedlicher Lebensrollen fast schon an der Tagesordnung.
Rollen-Multitasking hat seinen Preis!
Häufig kommen Menschen zu mir in die Praxis, die in sich einen Stress und Druck wahrnehmen, den sie sich nicht recht erklären können. Wenn wir dann einmal analysieren, in wie vielen Rollen sie tagtäglich agieren – und, dass diese Rollen ganz unterschiedliche Anforderungen haben und möglicherweise sogar in Konkurrenz zueinander stehen, dann wird schnell klar, dass alleine das, ein Auslöser für das Stressempfinden sein kann.
Einen Rollenkonflikt, den ich (leider) noch immer in meiner Arbeit mit meinen Klientinnen und Patientinnen wahrnehme, das ist der zwischen der „Mutterrolle“ und der als „Arbeitnehmerin, Unternehmerin, Selbständige“ – und häufig auch der Rolle als Partnerin.
Idealerweise sollen alle drei Rollen gleichzeitig perfekt ausgefüllt werden – und das, wo sie doch stellenweise logischerweise im Widerspruch stehen!
Was tun, wenn das Kind krank ist und am gleichen Tag eine wichtige Präsentation ansteht? Oder wenn der Partner Sie mit einem Romantikwochenende überrascht und Sie kurzfristig arbeiten müssen? Frauen fühlen sich dann manchmal hin- und hergerissen zwischen den „Welten“ und setzen sich damit enorm unter Druck.
Keine Schauspielerin würde sich vermutlich zumuten, drei Hauptrollen gleichzeitig wahrzunehmen. Die Super-Heldinnen des Alltags erwarten jedoch häufig von sich, das bewerkstelligen zu können.
Sollten Sie sich jetzt angesprochen fühlen, erinnern Sie sich bitte daran: Sie sind ein Mensch aus Fleisch und Blut mit einem begrenzten Energiekontingent. Und das ist absolut in Ordnung so!
An der Stelle sei angemerkt: Natürlich erleben auch Männer diese Rollenkonflikte und kennen die Erfahrung, unter dem eigenen Ansprüchen an sich in ihren Rollen zu leiden.
Was tun, wenn das Leben doch so viele Facetten und Aufgaben für Sie bereit hält?
- Auf wie vielen Bühnen sind Sie gleichzeitig unterwegs?
Der erste Schritt im Umgang mit Ihren unterschiedlichen Rollen ist das Bewusstmachen eben dieser.
Das (An)Erkennen der zahlreichen Anforderungen an Sie in Ihrem Alltag fördert das Verständnis für Sie selbst. Der Gedanke „Oh wow ja, da ist viel los in meinem Leben und da „ziehen“ viele an mir. Es ist nachvollziehbar, dass es mir so geht wie es mir eben geht.“ schafft eine Erklärung für den Druck und steigert die Wahrscheinlichkeit, Mitgefühl mit sich selbst zu empfinden. Das Mitgefühl für andere mit all ihren Aufgaben wäre für Sie wahrscheinlich eine Selbstverständlichkeit – Selbstmitgefühl ist etwas, das Sie möglicherweise noch ausbauen wollen.
- Welche sind Hauptrollen, welche Nebenrollen?
Wenn Sie feststellen, dass Sie, um im Bild des Theaters zu bleiben, zu viele „Bühnen Engagements“ angenommen haben, dann fragen Sie sich, ob Sie die ein oder andere Hauptrolle möglicherweise in eine Nebenrolle umwandeln können und wo Sie möglicherweise sogar nur die „zweite Besetzung“ sein wollen.
Ich verstehe, dass Sie manche Rollen nicht einfach so austauschen können bzw. das vielleicht auch nicht wollen. Doch auch hier gilt: Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist ein wichtiger Schritt, denn er macht Ihnen deutlich:
Auch Ihr Tag hat nur 24 Stunden, die Woche nur 7 Tage und das Jahr 365 Tage. Vielleicht wird für Sie so schon durch das Auflisten offensichtlich, wo Sie „einsparen“ wollen und können.
- Welche sind Ihre Lieblingsrollen? Welche Ihre am wenigsten gefeierten Rollen?
Wenn Sie sich mit Ihren Rollen beschäftigen, stellen Sie sich auch mal die Frage:
Welche Rollen mögen Sie besonders gerne – und weshalb?
Und welche Rolle fordert Sie am meisten oder bringt Sie möglicherweise sogar in den inneren Widerstand.
Dass manche Rollen Sie stressen und Sie diese vielleicht auch nur mit Widerwillen ausfüllen, dafür gibt es Gründe! Ist es, dass die Rolle in Konkurrenz zu einer anderen steht oder vielleicht sogar im Widerspruch zu einer anderen (Wenn Sie z.B. als Werbetexter*in arbeiten und den Werbetext für eine Partei schreiben sollen, die Ihren Werten absolut widerspricht)? Oder ist es eine Rolle, in der Sie keine Freude wahrnehmen oder in der Ihnen die Sinnhaftigkeit fehlt?
- Stimmt die EntLOHNung?
Gerade wenn Sie erkennen, dass eine Rolle Sie besonders herausfordert oder Sie Widerstand in sich wahrnehmen, dann fragen Sie sich mal, ob Sie die Rolle angenommen haben, weil die Entlohnung dafür stimmt. Manche Jobs erfüllen vielleicht nicht mit Freude oder Sinnhaftigkeit, ermöglichen Ihnen aber jeden Monat, Ihre Miete pünktlich zu zahlen. Oder Sie tun etwas, weil Sie den Eindruck haben, dass das der nächste Schritt auf Ihrer Lebensleiter ist, auf der Sie etwas ganz anderes anstreben. Bezahlung kann hier monetär sein; der Lohn kann aber auch in Form von Anerkennung, Weiterentwicklung o.ä. stattfinden. Und schon ändert sich die Haltung, wenn Sie sich sagen „Das macht mir jetzt keinen großen Spaß. Ich weiß aber, wofür ich das tue!“ Das ist Selbstbestimmtheit und Selbstbewusstsein, im Sinne von „sich seiner selbst bewusst zu sein“.
- Die Kunst des Ein- und Aus-ROLLEN-s
Das bewusste Hineinschlüpfen in eine Rolle und das bewusste Ablegen derselben kann unterstützend sein, gerade, wenn es um das Thema „Abgrenzung“ innerhalb der Rolle geht.
In Ihre berufliche Rolle können Sie gut hineinschlüpfen, wenn Sie das Anziehen Ihrer Arbeitskleidung (z.B. Arztkittel, Uniform, Headset o.ä.) in voller Aufmerksamkeit vornehmen.
Sie können sich dann ganz bewusst machen und verdeutlichen, dass Sie ab jetzt in dieser Funktion agieren werden, dass Sie die Aufgaben dieser Rollen ausfüllen werden, dass Sie jetzt in dieser Haltung agieren werden und dass die anderen Rollen in der Zeit zu „Nebenschauplätzen“ werden.
Sollten Sie im Job Kritik bekommen für Ihre Arbeit und/oder Ihr Verhalten oder vielleicht sogar beleidigt werden, dann fragen Sie sich immer: „Gilt das mir persönlich, als Mensch? Kennt mich diese Person überhaupt persönlich? Oder wendet sich diese Aussage an mich in meiner Rolle?“. Diese Frage kann Ihnen helfen, Dinge weniger persönlich zu nehmen.
Wenn Sie dann Ihren Arbeitsalltag beenden, können Sie im Gegenzug das Ablegen der Arbeitskleidung mit dem Abstreifen der Rolle verbinden und bewusst in den Feierabend gehen – ähnlich wie ein*e Schaupieler*in, die/der sich nach seinem Auftritt abschminkt, das Kostüm ablegt und als Privatperson das Theater verlässt.
Sollten Sie keine spezielle Arbeitskleidung haben, können Sie sich etwas Anderes, das Sie mit dieser Rolle verbinden dafür nutzen.
Bei mir ist es z.B. meine gelbe Tasse, die ich jeden Tag bewusst aus meinem Schrank hole, die bei jeder Coaching-und Therapie-Sitzung bei mir steht und die ich am Abend abspüle, in den Schrank stelle und dann als Privatperson die Praxis verlasse.
Vielleicht „beamen“ Sie sich ja auch beim Hochfahren des Computers in Ihre Rolle?
Werden Sie kreativ und probieren Sie es einfach mal aus.
Es ist übrigens ganz natürlich, dass wir mehrere Rollen gleichzeitig leben und parallel in uns wahrnehmen, denn auch wenn wir im Job sind, sind wir Mutter, Partnerin, Freundin, Tochter, Frau, Berufstätige etc.
Und am Ende noch eine wichtige Frage an Sie:
„Wer spielt in Ihrem Leben die Hauptrolle?“… idealerweise sind SIE das SELBST!