Weshalb schieben wir Dinge auf? Weshalb prokrastinieren wir?
Was ich heute kann besorgen, das verschiebe ich gerne mal auf morgen …
Was für ein Typ sind Sie? Erledigen Sie Ihre unangenehmen Aufgaben sofort ganz nach dem Motto „Was weg ist, ist weg“ oder schieben Sie diese Dinge gerne mal vor sich her?Fällt Ihnen in dem Moment, in dem Sie sich an die Steuerklärung setzen auf, dass die Fenster schmutzig sind und dringend geputzt werden müssten? Das würde sich dann ja auch sicherlich auch positiv auf Ihre Stimmung auswirken, wenn die Sonne ungehindert auf Ihren Schreibtisch scheinen würde. Und wo Sie gerade dabei sind, könnten Sie sich doch gleich noch die Küche vornehmen; die benötigt dringend mal wieder ein Deep-Cleaning. Und das Bad. Und… Und wenn Sie dann zufrieden in Ihrem sauberen Zuhause auf die Uhr blicken stellen Sie fest, dass sich das mit der Steuererklärung heute nicht mehr lohnt. Aber morgen ist ja auch noch ein Tag…
Kommt Ihnen das bekannt vor? Dann prokrastinieren Sie. Sie verschieben eine für Sie unangenehme Aufgabe und ersetzen Sie durch eine andere, die Ihnen möglicherweise auch keine große Freude bereitet (s. Putzen), Ihnen aber dennoch leichter fällt als Ihr eigentliches To-do. Der Fachbegriff „Prokrastination“ für das Verschieben von Aufgaben kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel wie „auf morgen verlegen“.
Weshalb schieben wir Dinge auf?
Doch weshalb verschieben wir Menschen Aufgaben, von denen wir wissen, dass sie irgendwann erledigt werden müssen wenn wir keine negativen Konsequenzen in Kauf nehmen wollen? Für viele lautet die Antwort „Faulheit“ oder „mangelnde Willensstärke“. Doch während der Faule sich mit seinem Nichtstun wohl fühlt und sich auch gar nicht selbst verspricht, das Nicht-getane irgendwann nachzuholen, fühlt sich der Prokrastinierer langfristig nicht gut – ihn quält über kurz oder lang das schlechte Gewissen.Die Gründe für die Prokrastination sind meist psychologische Ursachen. Und genau deshalb ist sie, gerade wenn sie dauerhafter Lebensbegleiter ist, durchaus ernst zu nehmen.
Untersuchungen haben belegt, dass eine Ursache für das wiederholte Vertagen von Aufgaben ein geringer Selbstwert sein kann. Wenn wir uns das genauer betrachten, dann ist das recht schlüssig: Wenn ein Mensch sich selbst wenig zutraut, große Selbstzweifel hat, Versagensängste in sich trägt und ihn Angst vor Kritik umtreiben, dann kann eine unangenehme Aufgabe ungeheuren Druck aufbauen und die Person in enormen Stress versetzen. Da wir Menschen keine unangenehmen Gefühle mögen, sucht die Psyche nach Strategien, wie es ihrem Menschen besser geht. Ein Herausgehen aus der Situation, ein Aufschieben der Aufgabe und somit die Vermeidung erscheint hier als Strategie sinnvoll. Das Interessante ist ja, dass in dem Moment, in dem der Entschluss gefasst wird, die Aufgabe durch eine angenehmere zu ersetzen, sofort Erleichterung, Entspannung und Entlastung eintritt. Die Psyche wird für ihre Strategie mit einem guten Gefühl belohnt, merkt sich das und wird bei der nächsten Möglichkeit diese Methode wieder anwenden. Denn wir Menschen lieben bekanntermaßen gute Gefühle.
Dass die Belohnung nur kurze Zeit anhält und relativ schnell ein schlechtes Gewissen eintritt, wird später noch Thema sein.
Zu viele Aufgaben und unrealistische Ziele können ein weiterer Grund für Prokrastinieren sein. Wenn wir unterbewusst wissen, dass wir das, was wir uns da vorgenommen haben, in dem angestrebten Zeitraum oder in dem Ausmaß überhaupt nicht erreichen können, dann löst auch das Stress in uns aus und die Psyche greift auf die Strategie der Vermeidung zurück.
Interessanterweise prokrastinieren auch Perfektionisten immer wieder auf der Suche nach der 100 % perfekten Lösung. Auch das erscheint logisch, denn die Suche nach Perfektion ist aufwendig, zeitintensiv und nervraubend. Auch hier kann es dann sein, dass die Strategie des Verschiebens bei zu großem psychischen Druck und Stress als beste Lösung zur Entlastung gewählt wird.
Prokrastiniert wird übrigens in den unterschiedlichsten Bereichen: Während die einen den unangenehmen Telefonanruf vor sich herschieben, drücken sich andere vor dem anstehenden Arztbesuch, vor dem Putzen oder vor behördlichen und administrativen Aufgaben. Es gibt auch Selbständige, die das Schreiben von Rechnungen, d.h. das Absichern ihrer Einnahmequelle, vor sich herschieben.
Interessant finde ich auch, dass unterschieden wird zwischen „Vermeidungsaufschiebern“ (das sind die oben beschriebenen) und den „Erregungsaufschiebern“. Das sind diejenigen, die (vermeintlich) Druck brauchen, um effektiv arbeiten zu können, die sozusagen von der aufgebauten Spannung profitieren und dann innerhalb kürzester Zeit (zum Aufschieben ist keine Luft mehr!) maximale Leistung erbringen. Auch wenn das für manche Menschen funktioniert, so ist doch der Preis, den sie für diese Erregung zahlen recht hoch. Der Stress, der dadurch entsteht, alles in letzter Minute zu erledigen, ist extrem und an der Stelle darf nichts Unvorhergesehenes mehr dazwischen kommen, sonst geht der Plan nicht auf.
Die kurze Belohnung hat ihren Preis…
Generell ist festzustellen, dass diese kurzfristige Erleichterung, die durch das Aufschieben erreicht wird, ihren Preis hat… Den eines schlechtes Gewissens, das häufig subtil im Hintergrund mitschwingt, Schuldgefühle, etwas nicht getan zu haben, ein Aufgabenberg, der immer größer wird und damit steigender Druck und Stress. Ist die Freude über die Vermeidung verpufft, so stellt sich bei manch einem eine Art Überaktionismus ein: ein unangenehmes To-Do wird durch mehrere aufeinanderfolgende Handlungen ersetzt (s.o. Fenster putzen, Küche, Bad etc.). Und diejenigen, die sich z.B. durch einen Serien-Marathon ablenken wollen, können das oft gar nicht richtig genießen, weil da dieses dumpfe schlechte Gewissen mit vor dem Bildschirm sitzt.Prokrastiniert jemand ab und an, so sind die Konsequenzen überschaubar. Dann ist die Präsentation eben mal nicht so gut gelaufen, die Note nicht die erhoffte oder ein grauer Umschlag mit einem Brief vom Finanzamt erinnert deutlich an das aufgeschobene To-Do.
Bei wiederholtem und/oder gewohnheitsmäßigen Prokrastinieren können jedoch schwerwiegende Konsequenzen, ein hoher Leidensdruck und psychische sowie physische Beschwerden die Folge sein. Gerade Menschen mit einem geringen Selbstwert werten sich für das Verschieben von wichtigen Aufgaben noch mehr ab, bezeichnen sich als Versager und sehen ihr „nicht gut genug sein“ bestätigt. Das wiederum hat zur Folge, dass sie sich noch weniger zutrauen, die nächste Aufgabe noch größere Ängste auslöst, was wieder ein Aufschieben zur Folge hat usw. Der Teufelskreis ist gestartet, die Abwärtsspirale nimmt Schwung auf.
Wichtig im Umgang mit dir selbst und mit anderen: Wisse, dass Prokrastination auch die Begleiterscheinung einer Depression, einer Angststörung oder von ADHS sein kann.
Ursachenbehebung statt Symptombekämpfung
Generell ist es wichtig, sich um die Ursache für das Aufschieben zu kümmern und den Fokus nicht in erster Linie auf das Abstellen der Symptomatik zu richten. Ist ein geringer Selbstwert die Ursache dafür, dass eine Person prokrastiniert, dann ist es wichtig, dass sie dieses Thema angeht. Steigt der Selbstwert, traut sich der Mensch selbst mehr zu und braucht das Aufschieben als Selbstschutz nicht mehr.Stellt jemand fest, dass seine überambitionierten Ziele dafür verantwortlich sind, dass sie / er einen Berg an Arbeit vor sich herschiebt, dann geht es darum, die Prioritäten neu zu setzen und sich zu fragen, was wirklich wichtig ist!
Gerade in Fällen von ausgeprägter Prokrastination und wenn der Leidensdruck bzw. die Auswirkungen schwerwiegend sind, ist es angesagt, sich professionelle Hilfe in Form von Psychotherapie, kognitiver Verhaltenstherapie oder eventuell auch Coaching zu suchen. Hier geht es dann nicht in erster Linie um Tools im Umgang mit dem Aufschieben, sondern um die Behebung der Ursache für die Prokrastination.
Tipps im Umgang mit Prokrastination
- Wenn Sie sich dabei beobachten, wie Sie eine Aufgabe vor sich herschieben und einfach nicht ins Tun kommst, dann denken Sie an die Bergsteiger, die den Mount Everest besteigen wollen. Sie besteigen den Berg in Etappen und ruhen sich in den unterschiedlichen Basis- und Höhenlagern aus, sind stolz, so weit gekommen zu sein und sammeln Kraft für die nächste Etappe. Also machen Sie Etappenziele, gönnen Sie sich Zwischenerfolge und wertschätzen Sie sie.
- Legen Sie eine To-Do-Liste an. Überprüfen Sie, ob es realistisch ist, dass Sie all das in der von Ihnen vorgesehenen Zeit leisten können und setzen Sie Prioritäten.
- Machen Sie Deals mit dir selbst, wie z.B. 60 Minuten arbeiten, 15 Minuten Pause, 45 Minuten arbeiten, 10 Minuten Pause etc..
- Stellen Sie sich vor, wie Sie sich fühlen werden, wenn Sie Ihre Aufgabe erledigt haben. Erinnern Sie sich an Situationen, in denen Sie etwas zu Ende gebracht haben und versetzen Sie sich in dieses Zielgefühl. Es kann Ihnen helfen, durchzuhalten und sich motivieren.
- Eat the frog! Nein, Sie sollen keinen Frosch essen, sondern am besten die unliebsame Aufgabe gleich als Erstes erledigen (oder die angepeilte Zwischenetappe). So entlasten Sie sich selbst und verschaffen sich gleich am Anfang des Tages ein tolles Erfolgserlebnis.
Und last but not least…