Gesunder Egoismus
Sucht man Synonyme für das Wort „Selbstliebe“ landet man bei Begriffen wie Narzissmus, Egoismus, Egozentrik, Selbstsucht. Weshalb scheint es gesellschaftlich so verpönt, sich selbst zu lieben und sich selbst wertzuschätzen? Es geht ja nicht darum, selbstverliebt durch die Welt zu stolzieren und nur an sich selbst zu denken. Nein! Gesunder Egoismus bedeutet einfach, dass wir uns selbst schätzen und mit gutem Gewissen dafür sorgen, dass es uns gut geht.
Gesunder Egoismus vs. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“
Die meisten von uns kennen diesen Spruch – ob religiös oder nicht. Und ich befürchte, wenn wir tatsächlich so leben würden, würde sich der ein oder andere unserer Liebsten ganz schön beschweren. Ja, let`s face it: In der Regel gehen wir mit unserem Umfeld wesentlich liebenswürdiger um als mit uns selbst. Für so gut wie Jeden haben wir mehr Verständnis, mehr Anerkennung, mehr lobende Worte und mehr Mitgefühl als für uns selbst.
Kommt Ihnen das bekannt vor? Oder wie oft schauen Sie sich liebevoll im Spiegel an und richten den Fokus auf das, was Ihnen an sich gefällt? Wie reden Sie selbst mit sich, wenn Sie einen Fehler gemacht haben? Sagen Sie sich dann „Hey, das ist nicht schlimm. Das nächste Mal machst du es besser.“? Oder gehen Sie eher mit Beschimpfungen wie „Wie konnte ich nur so dumm sein…“ hart mit sich ins Gericht?
Das mit dem glücklich machen kann doch auch ein Anderer für mich übernehmen, oder?
Gerne geben wir den Job, dafür zu sorgen, dass es uns gut geht, an andere Menschen ab. Es ist doch auch viel einfacher, wenn die Wertschätzung und die Liebe von außen kommen, oder? Zumindest ist es für die meisten von uns gewohnter. Haben Sie auch schon den Satz „Ich wünsche mir einen Partner, der mich glücklich macht.“ gehört oder vielleicht selbst gesagt? Ja um Himmels Willen, was für eine große Last laden wir denn da einem anderen Menschen auf die Schultern? Abgesehen davon, ob das überhaupt seine Aufgabe ist, KANN uns ein anderer Mensch überhaupt glücklich machen? Kann er überhaupt genau wissen, was wir zum Glücklich sein brauchen? Ich behaupte: Nein! Egal wie einfühlsam er/sie auch sein mag!
Die wichtigste Beziehung in unserem Leben ist die zu uns selbst
Hört sich das für Sie seltsam, ja vielleicht sogar unangemessen an? Kein Wunder! Wir wachsen auf mit der Ansage, uns nicht so wichtig zu nehmen, uns nicht in den Mittelpunkt zu spielen, immer nett und höflich zu den Anderen zu sein. So weit, so gut. Es ist wichtig, für unsere Familie und Freunde da zu sein. Doch es ist noch wichtiger, uns selbst zu fragen, was wir gerade brauchen. Wie es uns gerade geht. Ob wir gerade geben können oder vielleicht doch eher annehmen möchten? Wer lehrt uns eigentlich, nett zu uns selbst zu sein, liebevoll und wertschätzend mit uns umzugehen? Dabei ist es doch so wichtig, eine gute und stabile Beziehung zu uns selbst aufzubauen. Schließlich ist sie die Basis für all unsere anderen Beziehungen.
Was hat eine Stewardess mit gesundem Egoismus zu tun?
Wenn Sie schon einmal geflogen sind, haben Sie sicher die Sicherheitsanweisungen der Stewardessen im Ohr. Sie fordert die Passagiere auf: „Im unwahrscheinlichen Fall eines Druckabfalls ziehen Sie die Sauerstoffmaske als Erstes über Ihr eigenes Gesicht – und erst dann helfen Sie Kindern und anderen hilfsbedürftigen Personen.“ Für mich ist genau das gelebter und gesunder Egoismus! Im ersten Schritt sorgen wir für uns und unsere eigene Sicherheit – und sofort im Anschluss richten wir unser Augenmerk auf die Bedürfnisse der Anderen!
Gerade wir Frauen – und speziell Mütter – stellen oft die Bedürfnisse unserer Kinder, Familie und Partner an erste Stelle. Wir sind davon überzeugt: Wenn es ihnen gut geht, dann geht es uns auch gut! Ist das wirklich so? Fühlt sich das leicht an? Und wer bitte kümmert sich um unsere Sauerstoffzufuhr, wenn wir permanent die „Sauerstoffmasken“ an Andere verteilen?
Gesunder Egoismus und der ungepackte Koffer…
Ganz ehrlich: ich weiß, worüber ich spreche! Als Mutter von zwei Kindern (mittlerweile 21 und 17) habe ich jahrelang als erstes an die Anderen gedacht und somit nach und nach den Blick für mich und meine eigenen Bedürfnisse verloren. Mein gefühlter Selbstfürsorge-Tiefpunkt war ein Wochenendtrip nach Frankreich: Als im Hotel nur drei Koffer aufs Zimmer gebracht wurden dachte ich noch, dass meiner wohl im Auto vergessen wurde – doch da war kein Koffer mehr. Ja, ich hatte tatsächlich für meine ganze Familie die Koffer gepackt – und mich selbst dabei völlig vergessen.
Das war für mich wie ein Schlag ins Gesicht! Und plötzlich tauchte da diese eine Frage in meinem Kopf auf: Wer ist eigentlich MEIN Lieblingsmensch? ICH war es ja offensichtlich nicht! Und das, wo ich doch genau mit mir 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr verbringe. Und dann war ich nicht mal die Person, die ich am meisten liebte? Wow… verrückte Welt!
Ich war wachgerüttelt! So konnte das ja nicht weitergehen. Und SO ein Vorbild wollte ich auch meinen Kindern auf keinen Fall sein! Ich begann, an mir zu arbeiten. In kleinen Schritten. Für den nächsten Urlaub habe ich die Koffer meiner Kinder und meinen gleichzeitig gepackt, dh ein Kleidungsstück in meinen Koffer, ein Teil zu meiner Tochter, ein Teil zu meinem Sohn etc. Und noch bevor die Kinder ein Alter erreicht hatten, in dem sie ihre eigenen Koffer packten, war ich soweit, dass mein Gepäck fertig als erstes an der Tür stand. Und was soll ich sagen? Es fühlt sich gut an. Und ganz wichtig: die Familie hat nicht darunter gelitten. Keiner ist zu kurz gekommen – ganz im Gegenteil!
Selbstfürsorge macht leicht!
Wenn wir uns erlauben, unsere Bedürfnisse zu spüren und ernst zu nehmen, dann wird das Leben automatisch leichter. Und zwar nicht nur für uns selber. Nein, auch für unser Umfeld! Wenn wir uns geben, was wir brauchen, wenn wir liebevoll mit uns selbst umgehen, dann machen wir uns unabhängiger vom Außen. Wir sind nicht so sehr darauf angewiesen, dass die Anderen uns toll finden. Und die wiederum können nicht so viel falsch machen, weil wir eben nicht diese „Mach mich glücklich“-Erwartungshaltung in uns tragen. Hört sich das logisch an für Sie?
Für eine gute Beziehung mit sich selbst ist es nie zu spät! Das hat nichts – aber auch gar nichts – mit Narzissmus oder Selbstsucht zu tun. Haben Sie Lust auf eine bessere Beziehung zu sich selbst und haben vielleicht noch keine richtige Vorstellung davon, wie das funktionieren kann? Ich freue mich darauf, Sie auf Ihrem Weg zu einem gesunden Egoismus zu begleiten.